KLOSTERSCHULE DISENTIS

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Das Kloster Disentis ist ohne schule kaum vorstellbar. Diese Klosterschule - übrigens das weitaus älteste aller noch bestehenden Bildungszentren Graubündens - hat zu allen Zeiten versucht, einen wichtigen regionalen Bildungsauftrag als ein Ort kultureller Vielfalt und christlicher Erziehung zu erfüllen. Es ist anzunehmen, wenn auch schriftliche Quellen fehlen, dass die Benediktinerabtei gleich mit ihrer Gründung im 8. Jahrhundert eine schule einrichtete, die sie den Söhnen des Landes öffnete. Die Klöster als Zentren des Christentums, der Bildung und Kultur sowie auch der Wirtschaft haben ja gerade im Mittelalter einen wesentlichen Beitrag zur Schaffung eines christlichen Europas geleistet.

Gelehrt wurden von den Disentiser Benediktinern wie in anderen Klöstern nach karolingischer Tradition die sogenannten sieben freien Künste: Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Astronomie, Geometrie und Musik. An der spitze dieser Klosterschule stand der Scholaris, wie der Rektor in einem Dokument von 1285 genannt wird. Genaueres über die mittelalterlichen Verhältnisse wissen wir allerdings nicht, weil kostbare Dokumente dieser Zeit beim Franzoseneinfall 1799 vernichtet wurden. Erst über die Lateinschule des 16. Jahrhunderts, die im Zusammenhang mit der kirchlichen Erneuerung stand, berichten uns die klösterlichen Quellen mehr. Bekannt ist, dass die Lateinschule der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts um die 25 Studenten zählte. Die Zöglinge waren bei Familien im Dorf untergebracht.

Bekannt wurde die Klosterschule der Fürstabtei Disentis in der Barockzeit. Neben der lateinischen Sprachkultur pflegten Lehrer und Schüler auch Musik und Theater. Nach den stürmen der Französischen Revolution erkannte die Abtei die Zeichen der Zeit und eröffnete 1804 eine neue Schule, die dank der Hilfe des Corpus Catholicum als die erste katholische Kantonsschule gelten konnte und auch finanzielle Hilfe des Kantons erhielt. Sie übersiedelte jedoch 1808 nach St. Luzi in Chur. Disentis führte dann nur noch eine private Klosterschule, bis das Corpus Catholicum die katholische Kantonsschule von 1833 -1842 wieder in die klösterlichen Schulräume zurückverlegte.

Im Sinne des Neuhumanismus von Wilhelm von Humboldt galten im Gymnasium Latein und Griechisch, Deutsch und Mathematik als Hauptfächer. Romanische Gespräche in der schule und in der Erholung wurden nicht nur verboten, sondern sogar bestraft! Nach dem Vorbild von Johann Heinrich Pestalozzi und Friedrich Ludwig Jahn nahmen Turnen und Exerzieren an Bedeutung zu, so dass sie zu einem eigentlichen militärischen Vorkurs auswuchsen. Der Schulrat liess 1836 eine Fahne anfertigen, auf welcher die Worte prangten: “Pro Deo. Patria. Scientiis ac Virtute.” Grossartige Exerzierfeste wurden organisiert, die man am Morgen mit Böllerschüssen einleitete und mit grossen Paraden abschloss. Da der klösterliche Konvent klein war, unterrichteten vorwiegend weltliche Lehrer, die grösstenteils aus Deutschland stammten.

So wurde nun 1850 auch in Disentis eine konfessionelle Schule ins Leben gerufen. Es handelte sich um eine grössere, vom Staat unabhängige katholische Institution, die als sogenannte bischöfliche Schule von 1850-1856 in die Klostergeschichte eingegangen war. Sie stand allerdings in grosser Konkurrenz zur Kantonsschule in Chur. Zu den Gründern gehörten die Brüder Augustin und Placidus Condrau, unterstützt vom Churer Bischof Kaspar von Karl. Dem Bischof, dem Kloster und der Cadi war es trotz schwieriger politischer Verhältnisse gelungen, eine blühende und gut funktionierende Schule ins Leben zu rufen, die aber bald aus politischen und finanziellen Gründen aufgegeben werden musste. Ab 1856 existierte in Disentis nur eine kleinere private schule. Die Restauration und der innere Aufbau des Klosters von 1880/81 unter Benedikt Prevost, dem späteren Abt, führte zunächst zu einem Progymnasium, welches dann zu einem Gymnasium mit sechs, dann sieben Klassen und schliesslich unter Abt Beda Hophan zum Vollgymnasium mit Matura Typus A erweitert werden konnte.

Seit dem kantonalen Gesetz zur Förderung der Mittelschulen aus dem Jahre 1962 erfreuten sich die in Bünden wohnenden Gymnasiasten und ebenso die Schule als solche einer finanziellen Unterstützung von seiten des Kantons. Die Lehrerkonferenz des Klosters beschloss daher 1967 die Einführung des Typus B. Die Realschule, die seit 1943 mit drei Klassen geführt wurde, schloss an Ostern 1970 ihre Tore. Um die Klosterschule noch mehr der Region zu offnen, wurden ab dem Schuljahr 1972 auch Mädchen als Externe und Interne in die Schule aufgenommen. Zur Unterbringung der internen Mädchen kaufte das Kloster im Dorf unterhalb der «Stiva Grischuna» das Holzchalet “Casa Pazzola”, das etwa 20 Mädchen Platz bietet.

Gleichsam als Markstein der Disentiser Schulgeschichte ist der grosse Neubau der Schule nach den Plänen der Architekten Hermann und Hans-Peter Baur mit grosszügigen Fach- und Schulzimmern, mit Turnhalle, Hallenbad und Aula, die in den 70er Jahren bezogen werden konnten, zu nennen. Die Klosterschule erfreute sich einer grossen Blüte. Die über 220 Schülerinnnen und Schüler aus der ganzen Schweiz wurden vorwiegend von klostereigenen Fachkräften unterrichtet. Weil äber in den 70er Jahren der klösterliche Nachwuchs ausblieb, mussten von der Schulleitung immer mehr Laienkräfte angestellt werden. Heute ist es eine Selbstverständlichkeit, dass Laien und Mönche in gemeinsamer Verantwortung den Schuldienst teilen, um die anvertrauten jungen Menschen auszubilden.

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Nach der Erstellung des Schulneubaues wurden Jahr für Jahr auch die Internatsräumlichkeiten der heutigen Zeit angepasst und modern umgestaltet. Da die Klosterschule sich in den letzten Jahren immer mehr zu einer regionalen Mittelschule entwickelte und der Ruf nach einem grösseren gymnasialen Ausbildungsangebot in der Surselva lauter wurde, konnte 1990 mit der Einführung des Wirtschaftsgymnasiums - Typus E - der Region ein Dienst erwiesen werden. Damit hatte die mittelalterliche Lateinschule den Weg durch viele Jahrhunderte hindurch bis hinein ins naturwissenschaftliche, technische und wirtschaftliche Zeitalter des 20. Jahrhunderts zurückgelegt.

Wenn von kultureller Tradition der Klosterschule die Rede ist, dürfen Musik und Theater nicht vergessen werden. War doch die Förderung der musisch-schöpferischen Begabung immer ein wichtiges Anliegen der Klosterschule. Bereits am 11. Juli 1744, am Hochfest der Klostergründer, wurde das Mysterienspiel und Prozessionstheater «Placidus und Sigisbert», vermutlich von Pater Maurus Venzin (gest. 1745), als Freilichtspiel vor der Klosterkirche in vier Sprachen aufgeführt. Begabte Musiker betreuten seither den Bereich der sakralen und profanen Musik. Grosse Messen für Soli, Chor und Orchester von Mozart, Haydn und Schubert kommen noch heute an grossen Festtagen zur Aufführung. Mit Konzerten an und ausserhalb der Schule erfreut der Chor jährlich viele Zuhörer. Neben der Musik pflegt die Klosterschule seit der Barockzeit auch die tragische und heitere Muse. Werke von Calderon, Shakespeare, Kleist, Schiller, Carnot, Muschg und Dürrenmatt kamen auf der Studentenbühne zur Aufführung.

Die wechselvolle Geschichte des Klosters und der damit verbundenen Schule ist ein kostbares Erbe, das verpflichtet. So stellt sich die Klosterschule heute die Aufgabe, jungen Menschen eine solide Grundlage für das akademische Studium zu vermitteln und sie unter Mitwirkung der Eltern aus christlicher Lebens- und Weltsicht zu persönlicher Entscheidungsfähigkeit und Lebensgestaltung sowie zum Dienst an Staat, Gesellschaft und Kirche in freier Verantwortung hinzuführen. Sie steht offen für junge Menschen, die für das Mittelschulstudium begabt und gemeinschaftsfähig sind und das christliche Selbstverständnis der Schule bejahen.

Filmpje Klosterschule Disentis 2010


Lange Afstand Wandelvereniging "VIA-VIA".

Gegenereerd op 01-09-2001 door C.P.J. Aerssens